12
Jul
2023
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Das S-Wort.

Ich durfte mal an der Uni Zürich drei Dutzend Studenten etwas über das Texten erzählen. Meine Kennenlernrunde begann ich mit einer lustigen Frage: „Wenn Du ein Wort haben könntest im Internet, das Dir für immer und exklusiv gehört, welches wäre es?“ Natürlich sagte der gut aussehende junge Mann in der fünften Reihe: „Sex.“ und alle lachten. Ich habe ihn damals beglückwünscht und fragte nach, ob er sich auch Zufriedenheit oder nur viel Geld davon versprach. Er zuckte mit den Achseln. Hauptsache er hatte einen Treffer, sagten seine Augen.

Wenn der junge Mann mit dem Wort Sex eine gesicherte Businesszukunft vor sich sah, so sei es, meinen Traum vom guten Leben hat dieses Machtwort nicht erfüllt. In meiner Kindheit und Jugend kam das Wort Sex immer mit viel Drama daher. Katholiken haben diese Gabe, etwas so zu verteufeln, dass alle an nichts anderes denken können. Gut, kann man alles beichten und es wird uns vergeben. Ich habe Ticktes auf dem Sex-Karrussel immer wieder gern gelöst, habe aber im Grunde meines Herzens nie ganz verstanden, was das Gedöns soll.

Ich war dabei für die Wärme und Geborgenheit danach. Es war Teil von der Nähe zu einem Mann, den ich liebte. Aber Macht dadurch gewinnen, war meine Sache nicht. In den Unternehmen, die ich betreten habe, gab es mit Sicherheit eine Sexkomponente, die spürbar war. Manchmal mehr, manchmal weniger. Oder, wieso denken Sie, gibt es immer so viele schöne Praktikantinnen und so viele überarbeitete Festangestellte?

Das S-Wort, auf das ich hinaus will ist aber ein anderes: Sensitiv. Es ist ein schüchternes Wort, das sehr gut zu mir passt. Ein bescheidenes Talent in der feinstofflichen Welt  und komplett unterschätzt. Für mich ist es das Umami der Lebensgefühle. Wenn es fehlt, ist alles grauer, normaler, keine Pailleten, kein Glimmer, keine höhere Frequenz. Aber fassen lässt es sich nicht, da es wie die Komponente ist, die aus den anderen heraus entsteht, eine Aura eines Gefühls.

Meine Mutter war zum Beispiel medial veranlagt. Sie konnte die Energie einer Person lesen und ihre Schlüsse daraus ziehen. Als echter Skorpion war sie die Zerstörerin von Denkmustern, eine Kämpferin für das Gute, ob die betroffene Person wollte oder nicht. Dieser Naturgewalt habe ich mich mit drei Jahren entgegen gesetzt und habe erreicht, dass mich mein Papa wieder nach Zürich mitgenommen und nicht bei meiner Grossmutter in Süditalien gelassen hat.

Wie habe ich das bloss geschafft?

Mein Sensitiv-sein ist von aussen oft mit Faulheit verwechselbar. Ich tue lange, lange nichts. Ich habe ein internes Sammelbecken von Eindrücken, aufgeschnappten Worten und Gefühlen, eine Antenne für die Ambiance, das Licht, die Qualität eines Tages und hoppla, wieso stehe ich jetzt gerade am richtige Ort und zur richtigen Zeit, um an der Uni eine Gastvorlesung zu geben? Keine Ahnung.

Die Gabe des Hineinstolperns in eine bizarr klare Einsicht bewerkstellige ich mit einer gewissen Grazie. In vielen Jahren habe ich das „Hoppla, was für ein Zufall, dass ich das geschafft habe“ zur Perfektion gebracht. Es ist nichts ausgesprochen Spirituelles, das ich empfange, obwohl es mit Sicherheit ein Grundvertrauen in alles Geistvolle bedeutet. Es ist einfach mein Lebensgefühl, das ich auch niemandem beibringen kann oder möchte.

Sensitiv sein ist manchmal auch der einzige Weg für mich in tiefster Verzweiflung und Not, Vertrauen zu fassen und mich zu erinnern, was ich alles an Leidenschaft und Willen habe, um eine Situation zu meistern. In dieser Hinsicht bin ich überhaupt nicht faul. Ich brauche, jetzt neu mit sechzig Jahren, einfach lange, bis ich weiss, wo es sich lohnt, diese einzusetzen.

Seit bald zwei Dekaden bilde ich mich weiter und eine nette neue Bekanntschaft hat mir mit Staunen bestätigt, dass ich wirklich viele Ausbildungen gemacht habe. Und trotzdem bin ich immer noch nicht durchgestartet als Coach oder spirituelle Prozessbegleiterin. Mmmh, wahrscheinlich wieder zu faul? Nein, ich glaube nicht. Ich glaube der Moment für meine Sensitivität als Instrument, um Menschen auf die Sprünge zu helfen wird kommen. Bei meiner Mamma hat sie auch ihren Sinn bewiesen.

 

 

 

 

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