Wie werde ich eine kleine Hexe?
Der dritte Karriereanlauf ist schwierig für mich. Die Ausbildung dauert schon sechzig Jahre und ich weiss immer noch nicht, ob ich genügend Prüfungen bestanden habe, um zu sagen: Ich bin eine kleine Hexe.
Für die grosse Hexenkarriere eigne ich mich nicht. Zu sehr geniesse ich es, dank der Werbung zu den Coolen zu gehören und bei den Lehrgangsleiter*innen als Anarchistin zu gelten. Ich bin auch nicht durch ein grausames Schicksal, zum Channeling gezwungen worden. Nein. Die Magie war einfach immer schon da, ein Teil meines Lebens. Und wie gross ist meine Überraschung immer wieder, wenn ich bemerken muss, dass die meisten nicht wissen wovon ich rede, wenn ich von zauberhaften Ereignissen erzähle, die sie einfach nicht sehen.
Wenn andere kopfschüttelnd und eifersüchtig mein Glück und die „Zufälle“, die dazu führten, beobachten, bekomme ich Angst. „Wahrscheinlich ist alles eine Lüge oder von vornherein schon so von dir eingefädelt“, dann verstumme ich und behalte die Wunder, die mir passieren halt lieber für mich. Meine Sicht und mein Empfinden der Welt macht mich zur Solistin, zur Schreiberin von Worten im Wind, zur Aussenseiterin mit ganz, ganz guten Freunden, die mich oft und gern an der Peripherie besuchen kommen.
In der fünfjährigen Krebs-Begleitung meiner Mutter wurde ich nicht auf einem Scheiterhaufen verbrannt, weil ich das Eibengift in der Chemotherapie als ein Heilmittel aus der Natur würdigte, Kräuterbäder für Hände und Füsse befürwortete und die Misteltherapie als anthroposophische Ergänzung rühmte. Als Spinnerin erzählte ich sowieso nur hübsche Anekdoten. Doch die Heilkräuter sprechen zu mir in ihrer ganzen Wunderbarkeit, und ich hoffe, ich konnte meiner Mutter, die Einnahme von soviel Chemie mit der schöpferischen Backgroundstory aus der Natur etwas erleichtern.
Das ist ja alles, was ich als kleine Hexe anstrebe nach dem Abschluss bei Susanna Krebs. Mit Sprache und guten Worten zu heilen. Wunden, die schmerzen, erträglicher zu machen. Die eigene Geschichte selber erzählen zu lernen.
Fundamentalisten aus allen Lagern beissen sich die Zähne an mir aus. Den Esoterikern bin ich zu realistisch. Den Realisten bin ich zu esoterisch. Zu 100% muss man der Naturheilkunde gehorchen! Ausserhalb der Schulmedizin ist alles nur Humbug und Hokuspokus! Deine Krankheit ist eine Botschaft deines Köpers, deiner Seele, deines Karmas! Höre hin, meditiere, fühle Dein Zentrum!
Oder auch nicht.
Ich geniesse es, die Zweiflerin zu sein bis sich meine Einsicht einstellt. Allen, die meine Talente in den Himmel loben, um mir ihre Glaubensmodelle unterzujubeln, danke ich von Herzen. Nehme gern, das, was ich brauchen kann und wurstle weiter.
In diesem speziellen letzten Jahr habe ich spirituelle Türen geöffnet für mich. U.a. hat mich die Astrologie neu begeistert und ich lerne viel dazu im wirklich beflügelnden Modus von Silke Schäfer. Ich bin am Heilen. Ich gebe mir Zeit. Mir ist es leider einfach sehr schnell langweilig und das Vertiefen meiner Kenntnisse der geistigen Welt ist ein weites Feld. Drum schreibe ich gern auf diese Weise auf.
Die Welt auf der anderen Seite hat es mir mit ihrer liebevollen Freundlichkeit angetan. Und sie haben Humor dort drüben. Gestern als ich mich dazu gezwungen habe, in stiller Zweisprache, den Verlust meiner beiden Brustdrüsen zu betrauern, kam mir folgende Vision: Sie sind einfach schon drüben und haben es hinter sich. Das hat mich so sehr amüsiert, dass ich von den traurigen Tränen in die Lachtränen gewechselt habe.
So magisch ist mein Leben.