Über meine Art von Angst.
Bevor der schottische Taxifahrer das symbolische Bild vor der Destillerie Glenturret gemacht hat, hatten meine Kinder und ich eine gefährliche Fahrt mit viel Adrenalin und gestauten Gefühlen zu überstehen. Statt dass wir uns auf gut süditalienische Art angebrüllt hätten und den Emotionen freien Lauf gelassen haben, war es gespenstisch still im Auto. Als blinde Passagiere fuhren neben mir mit: Die Angst, nicht perfekt zu sein. Die Angst, nicht zu genügen. Die Angst, Gefühle zu zeigen. Die Angst, zu dieser Familie gehören zu müssen und sie nicht zu wollen. Die Angst, vor lauter Angst, eine Sehnsucht nach dem Tod zu haben. Die Angst, es einmal mehr, nicht zu schaffen, zu lieben. Die Angst, es besser gewusst und doch nichts gesagt zu haben. Die Angst, alles zu verweigern, um zu überleben. Die Angst all dies an meine Kinder weiter gegeben zu haben. Die Angst, mit einem falschen Wort, alles zu zerstören. Die Angst, über diese selbst gemachte Situation zu lachen.
„Hello Darkness, my old friend.“ Würde meine Angst anständig an meine Tür klopfen, mich um Einlass bitten und mir die Wahl lassen, dann wäre sie ein alter Freund geworden. So ist sie aber mein alter Feind, meine versteckte zweite Haut unter meiner Haut. Unsichtbar dominant und erst seit kurzem wirklich fassbar und manövrierbar. Ein Leben lang kamen liebe Berührungen zu kurz, gingen selten direkt in Richtung Herz. Meine Angst schirmt mich ab, hält mich auf Distanz, körperlich und emotional. Ausser, und das ist bizarr, wenn ich Existenzangst fühle und mich das Adrenalin flutet. Dann macht mich meine Angst frei und ich fliege wie ein Luftballon über diese Welt: Um zu entdecken, zu beobachten, zu fühlen, zu entscheiden und endlich… um zu leben. Meine Angst hat mir letztes Jahr das Leben gerettet. Sagt man mir. Gleichzeitig verunmöglicht mir meine Angst, es auch wirklich zu glauben.
Meinen Platz für mich einnehmen in meinem Leben ist nie einfach gewesen. Vieles wäre mir nicht gelungen, wenn ich mich als Zentrum des Universums ins Spiel gebracht hätte, aber viellicht wäre mehr von Dauer gewesen. Durch meine Angst kam ich zu einer anderen Strategie und nein: Nichts ist falsch an mir. Ich bin wie ich bin. Meine Angst, andere zu lieben, ist meine Angst, mich zu lieben. Und wenn ich ehrliche Nähe will, zu mir und zu anderen, muss ich genauso dafür kämpfen wie alle anderen auch. In dieser Angst sind wir alle allein, und darin sind wir alle gemeinsam unterwegs.
Was soll ich sagen. Wir haben es ausgehalten in den schottischen Highlands mit unserer knappen Deadline hinter einem schwankenden Tiertransport und mit halsbrecherischen Motorradfahrern, die uns überholten als gäbe es kein Morgen. Wir sind etwas spät angekommen und hatten ein legendäres Essen mit einer noch fabulöseren Weinbegleitung. Und damit haben wir eine wunderbare Erinnerung nach Hause genommen, die für mich umso kostbarer ist, weil ich die blinden Passagiere nicht ans Steuer gelassen habe.
Slainthè Math.