1
Aug.
2025
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Fisch ohne Fahrrad.

Das Pendeln zwischen dem Gymnasium in Urdorf und meinem Familienzuhause an der Schulstrasse in Schlieren gehört zu einem meiner schönsten Lebensgefühle: Jeden Schultag mit dem Velo von einer Welt zur anderen fahren, die nicht unterschiedlicher sein konnten und doch eins waren durch mich und in mir. Oft blieben meine liebsten Freundinnen und Freunde und ich auf dem Nachhauseweg zusammen stehen und redeten und redeten und redeten. Ich glücklich in der Schwebe. Mein Lieblingszustand.

Während in unserer Familienwohnung süditalienische Werte zelebriert wurden wie die heilige Jungfräulichkeit, die heilige Messe und der heilige Tomatensugo waren im Schulzimmer die nächste Demo für das AJZ, die nächste Nacktdemo für Wo-wo-wohinge und die nächste Demo des eigenen Körpers die Dauerthemen. Ich gehörte zu keinem der beiden Camps. Ich beobachtete. Manchmal beunruhigt, weil jedes Jahr die coolen Älteren in die Welt hinausgingen und wir eine Stufe höher rückten. Bis wir dran waren. Schrecklicher Moment, denn ich hatte immer noch keinen Kompass und meine Gefühle die Realität betreffend so unzuverlässig wie immer. Ich wollte einfach weg von zuhause, weg von diesen schreiende, hysterischen, panischen Menschen, die meine Kindheit und Jugend zur Hölle gemacht hatten. Das wusste ich mit Sicherheit. Ach! Goldene Vermeidungsstrategien.

Dieser Sommer nach dem Tod meines Papas hat viele Parallelen zum Sommer meiner Reifeprüfung. Damals waren die schriftlichen vor und die mündlichen Prüfungen nach den Ferien und die Abschlussfeier im September. Diese Gefühle und das Timing dazu habe ich jetzt wieder frisch auf dem Tisch. Ich weiss, ich habe bestanden. Ich weiss, auf einer realen Ebene habe ich die besten Voraussetzungen für den nächsten Schritt, und doch flüstert eine karmische Stimme: So einfach ist es auch wieder nicht.

Ich brauche heute kein Velo um zwischen den Welten hin und her zu fahren, mein Transportmittel der Wahl war und ist mein Herz. Manchmal ist es unterwegs im Panzerwagen, weil Kriege toben, manchmal im offenen Cabrio, weil die Sonne scheint. Es ist verrückt, wie sehr ich jetzt schon wieder nach einem festen Anker und gleichzeitig nach einem unmöglichen Ziel Ausschau halte, um mein Leben in der Schwebe zu leben. Ein Jobangebot als Gartencoach für Primarschüer*innen in den Schulgärten Zürich ist schon reingeflattert und mein Manuskript Second Hand habe ich auch zufällig wieder ausgegraben. I dream the impossible Dream. I reach for the unreachable Star.Mein Lieblings-Soundtrack.

Aber es geht weiter: Im Pflegezentrum meines Papas halte ich im Oktober einen Vortrag für die Pflegefachleute zum Wunderkraut Schafgarbe und es gibt Kaffee und Kuchen dazu. Und ein Workshop im September zum Fermentieren ist auch in der Pipeline. Alles Anker in der realen Welt, Lampenfieber inkl. Aber: Wovon träume ich wirklich? Heute Nacht zum Beispiel von einer Einladung an viele verschiedene Menschen mit einer Speisekammer voller Essen, das sich partout nicht zu einem Menu kombinieren liess. Es allen recht machen geht nicht, ist wohl die Message. Und die Leute waren auch nicht da für die Speisen, sondern wegen mir. Und ich war nicht für sie da, weil ich so verzettelt war. Ja, selbstverständlich habe ich die Hexencoachings nicht vergessen. Die CreativeCoachings Website habe ich beerdigen lassen, die Vergangenheit lässt sich einfach nicht wieder beleben, wieso auch. Ich war Werberin und ich liebte es, aber Kreation will heute anders gelebt werden durch mich.

Als gute Gärtnerin, die ich sein will, sammle ich jetzt zuerst mal die Samen dieses Sommers. Lasse sie trocknen und lege sie ins Dunkel. Es gibt genug zu tun vor dem Frühling, viele Ernten stehen bevor: Kartoffeln in Schlieren, Kichererbsen in Herrliberg. In meinem Heilkräutergarten habe ich zwei Armvoll Rainfarn geschnitten und ich versuche, einen Ölauszug zu machen. Gut gegen Burnout und ein schönes Bhaltis für die Pflegefachleute.

Fazit: Heute am 1. August 2025, deklariere ich meinen persönlichen Independence Day, weil mir wieder mal bewusst wird,  wie sehr ich das Schreiben liebe. Seit Sunden laboriere ich an diesem Text und ich weiss: Erst morgen wenn ich darüber geschlafen habe wird mir meine beste Version gelingen. Der Text wie ein guter Teig muss Zeit haben, um aufzugehen. Wenn ich auf die Uhr schaue sind wieder Stunden vergangen, Passagen gestrichen, Absätze neu formuliert, ein Faden verloren, ein neuer gewoben. Zwischen Gedanken- und Gefühlswelten. In der Schwebe. In totaler Freiheit. Off the Hook.

 

1 Response

  1. Jose Antonio Gordillo Martorell

    Das Schreiben ist, zumindest für mich, meine Art, in der Welt zu sein. Es ist dieses magische Werkzeug, das dir hilft, zu erkennen, wer du bist und was du hier tust. Ich glaube, dass du einen außergewöhnlichen Horizont vor dir hast, dessen Konturen sich bereits deutlich abzeichnen: durch deine Workshops, durch neue Angebote, durch dieses Manuskript, das „zufällig“ auftaucht, damit du es fertigstellst. All das sind Zeichen, die dir klar zeigen, wohin du gehen kannst. Du entscheidest. Die Grundlage ist immer dieselbe: radikale Ehrlichkeit gegenüber sich selbst, Mut, das zu tun, was dich wirklich begeistert, Großzügigkeit und Dankbarkeit, um das Gute zu schätzen, das du auf deiner Reise findest. Ich glaube, wenn du dein Herz befragst, wird es dir eine klare Antwort geben, denn es ist das Einzige, das niemals täuscht oder versagt.

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