28
Okt.
2024
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Transmutation, Baby!

Eine Transmutation geht tiefer als eine simple Transformation und verlangt viel mehr: mehr Visionskraft, mehr Experimentierfreude, mehr Mut, mehr Introspektion, mehr Durchhaltevermögen, mehr Ehrlichkeit, mehr Rückgrat, mehr Reflektion. Wie die Alchemisten von früher, die Substanzen gründlichst auseinandernahmen, veredelten und wieder vereinten, geschieht etwas auf einem essenziellen Level und oft unsichtbar. Der Gewinn ist aber trotzdem einfach grandios. 

Es geschah im Radiologie-Keller des Hirslanden-Spitals, genauer im Warteraum. Als mich die Beraterin von Supertext trotz schlechtem Empfang erreichte mit dem x-ten Änderungswunsch für ein Textprojekt schloss ich innerlich mit meinem Texterinnenjob ab. Nebenan war meine Mutter in einer engen, weissen Garderobe mit einer radioaktiven Zuckersubstanz geimpft worden und wartete, dass dieses Mittel genug Kontrast gab, um Krebszellen zu finden. Und mir wurde klar, dass ich meine energetische Aufmerksamkeit dieser kleinen, kranken Frau geben wollte. Und dass man sicher auch noch andere Texterinnen fand für diesen Kunden.

Im Bruchteil einer Sekunde traf ich eine Entscheidung, trennte Energie von Ego und setze meine Prioritäten neu. Ich machte mich auf ins Abenteuer, mich neu kennenzulernen. Die Alchemisten unterschieden zwischen den drei philosophischen Prinzipien, den vier Elemente und der Quintessenz. Ich liess einen bleischweren Spagat hinter mir und lag damit goldrichtig.

Bis meine Ma den Knoten in der Brust fand, war sie meine grösste Antagonistin. Weil sie von Anfang an klar und deutlich gesagt hatte: „Das wird mein Tod sein“ änderte sich alles. Respekt wurde zum wertvollsten, was ich ihr geben konnte. Respekt für ihre Wut, für ihre Trauer, für ihr unverschämtes Lachen, für ihre überbordenden Wünsche, für ihre Zärtlichkeit. Sie meisterte diese Etappe ihres Lebens mit den essenziellen Elementen ihres Seins und setzte sich einfach neu zusammen. Alle liebten sie dafür, inklusive mir.

Manchmal, wenn sie nach der Chemotherapie im Brustzentrum noch Energie hatte, unternahmen wir kleine Schlenker. Wir besuchten ihre Enkelin in der Produktionsfirma in der Nähe, fuhren zu einem geheimen Second-Hand, gingen ganz  langsam Lebensmittel einkaufen. Einmal sagte sie ganz verzaubert: Es wäre so einfach gewesen. Ich nahm es als Kompliment. Sie hatte sich das Beste für den Schluss aufgehoben und ich durfte es bezeugen. Ich verband mich einfach mit dieser mutigen Person und gab ihr, was sie selbst nicht mehr hatte: Kraft, Selbständigkeit und Aktionsradius. Konnte das die Liebe sein, die ich mir seit jeher von ihr gewünscht hatte?

Der Tod meiner Mutter, genau heute vor sechs Jahren hat mich auseinandergenommen und nur langsam setze ich mich wieder neu zusammen. Er hat mich essenziell verändert und gewandelt. Und ich glaube zu einem besseren Menschen gemacht.

 

 

2 Responses

  1. Helen Frieden

    Cara Anna, dann bist du also durch den Tod deiner Mutter neu geboren. So jedenfalls habe ich das verstanden. Im Sinne, dass man oft etwas gehen lassen muss, damit etwas Neues entstehen kann.
    Helen

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